Wer sich zu einer Wanderung aufmacht, sollte dies bewusst
tun. Wandern bedeutet sich bewegen, sich bewusst bewegen. Wenn wir spazieren
gehen, laufen wir oftmals einfach los. Wenn wir zu einer Wanderung aufbrechen,
haben wir in der Regel ein Ziel vor Augen: Eine Burg, ein Baum, ein Ort, eine
Quelle oder sonst eine Sehenswürdigkeit. Doch wenn wir uns Wochen später an
unsere Wanderung zurückerinnern, fällt uns auf, dass in der Erinnerung vor
allem jene Dinge und Erlebnisse zurückgeblieben sind, die wir auf unserem
Wanderweg gesehen oder erlebt haben. Denn: Der Weg ist das Ziel! Dies ist eine
Weisheit, die jeder erfahrene Wanderer schon einmal gemacht hat. Wandern hat viel
mit „er - fahren“ zu tun. Das alte Wort fahren umfasst jede Art von
Fortbewegung., wie z.B. das Wort Pilgerfahrt, Zugfahrt oder Autofahrt uns
zeigt. Erfahren kommt von ervan und heißt ursprünglich nichts anderes als
„reisend erkunden“. Wenn wir also etwas erfahren wollen, müssen wir uns auf den
Weg machen. Meditatives Wandern hat eine Ähnlichkeit mit Pilgern. Auch jene,
die sich auf eine Pilgerreise begeben, lassen für einige Zeit ihr
Alltagsbewusstsein hinter sich und machen ihren Geist offen für neue Erfahrungen.
Beim meditativen Wandern sind wir mit unserem ganzen
Bewusstein unterwegs. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur im geographischen
Sinn auf den Weg machen, sondern auch geistig. Wandern ist eben etwas
Ganzheitliches. In den gesammelten Werken Christian Morgensterns findet sich
folgende Tagebuchnotiz: „Ich bin wie eine Brieftaube, die man vom Urquell der
Dinge in ein fernes, fremdes Land getragen hat und dort freigelassen hat. Sie
trachtet ihr ganzes Leben nach der einstigen Heimat, ruhelos durchmisst sie das
Land nach allen Seiten. Und oft fällt sie zu Boden in ihrer großen Müdigkeit
und man kommt, hebt sie auf und pflegt sie und will sie ans Haus gewöhnen. Aber
sobald sie die Flügel nur wieder fühlt, fliegt sie von neuem fort, auf die
einzige Fahrt, die ihrer Sehnsucht genügt, die unvermeidliche Suche nach dem
Ort ihres Ursprungs“.
Meditatives Wandern hat natürlich etwas mit Meditation zu
tun und Meditation ist nicht unbedingt ein in sich versinken, sondern
letztendlich handelt es sich bei dieser Meditationsform um einen Reifeprozess
der Person, die unterwegs ist und der durch dieses unterwegs sein oder „er –
fahren“ in Gang gesetzt wird. Was tun wir am liebsten bei einer Wanderung durch
den Wald? Nun, ich denke Nachsinnen, wir sinnen über uns selbst nach, bis wir
den Sinn finden denn wir suchen. So wird eine Wanderung die wir unternehmen
oftmals ganz schnell zu einer Art Lebensweg über den wir nachdenken. Denn wenn wir Wandern tragen wir ja unsere
freud - und leidvolle Erfahrungen mit uns herum und das macht uns zu
Erfahrenen, dies ist Teil des Reifungsprozesses einer Wanderung.
Wandern und Pilgern sind keine zwei verschiedene Paare von
Wanderschuhen, jedenfalls nicht beim meditativen Wandern. Denn bei dieser Art
des Wanderns nähern wir uns wieder jenem „Urquell der Dinge“, oder versuchen es
wenigstens, die Christian Morgenstern in seiner Tagebuchnotiz beschrieb. So
kann meditatives Wandern zu einer „Quest“, einer Sinnsuche werden. Wenn wir uns
zu einer Wanderung aufmachen, sollten wir die Banalitäten des Alltags hinter
uns lassen, denn wir wollen vom Alltagseinerlei in den All – Tag hineinwandern.
Wir sollten während unserer Wanderung ein allumfassendes Bewusstsein mit uns
führen. Wir wollen die Wunder der Natur sehen und spüren, wollen im Schöpfungsalphabet
von Mutter Natur lesen und den „Zuspruch“ der Wald- und Wiesenwege in uns
einfließen lassen.
Als Menschen brauchen wir den „Zuspruch“ und diesen finden
wir am schnellsten in einem meditativen Lebenswandel, denn: „Meditation ist das
Menschlichste vom Menschlichen“ (Tillmann). „Durch Meditation findet man zu
sich selbst, zu seinem eigenen Wesen kommt „die menschliche Person erst ganz in
ihre eigene Verfügung und Freiheit. Ohne sie fällt der Mensch auseinander. Es
geht also, schlicht gesagt, um Übung im Menschsein“ (Johannes F. Boeckel).
Während des meditativen Wanderns kehren wir zu unserem
inneren Selbst zurück. So wird Wandern zu einem Stückchen Therapie und
Selbsterfahrung. In der freien Natur begegnet uns immer wieder Neues, jede
Wanderung ist eine Erfahrung und es kann ja nur vernünftig sein, den eigenen
Hintergrund zu erweitern und somit für neue Erfahrungen empfänglicher zu
werden. Denn beim Wandern finden wir viel Zeit für uns selbst und dies sollten
wir als ein recht bedeutendes persönliches Kapital ansehen. Denn was unser
heutiges Dasein besonders hemmt und verwickelt macht, ist die Vorstellung der
Zweckbestimmtheit, die inzwischen ja schon fast jeden Vorgang des menschlichen
Lebens beherrscht. Diese Vorstellung ist ja insofern in Ordnung,, soweit sie
unsere wirtschaftliche und verstandesmäßige Existenz betrifft. Beim meditativen
Wandern allerdings tritt man in eine Bewusstseinssphäre ein, die eben nicht
Zweckbestimmt ist. Wir fühlen uns bei dieser Art des Wanderns der Natur und
ihren Schöpfungen sehr nahe. Denn durch meditatives Wandern gewinnen wir neue
Erfahrungen und erweitern somit auch unser Bewusstsein. Die Natur ist ein Ort
der Besinnung des Entzückens. Durchdrungen von ihr kann der Mensch seine
Allverbundenheit mit dem Kosmos erfahren, Natur soll uns eine Sache der Andacht
sein und nicht der Ausbeutung.
Gerade im Pfälzerwald denn ich ja täglich erwandere findet
man immer wieder Gegenden und Plätze in der Landschaft, die den Wanderer
plötzlich und ohne Ankündigung überraschen. Nach einer langen Wanderung stehen
wir plötzlich in einem Eichenhain und das Rauschen der Bäume erscheint uns wie
eine Stimme, die zu dieser Landschaft gehört. Oder wir sind gerade aus dem Wald
herausgetreten, und vor uns öffnet sich ein sonnenüberflutetes Tal mit
leuchtenden Wiesen, blühenden Blumen und ein romantischer Bachlauf lädt uns zum
Verweilen ein. Aus dem Dickicht vom Wiesenrand her dringt das zarte und süße
Zwitschern von Vögeln und hoch am Himmel zieht der Bussard seine einsamen
Kreise. Meistens sind es solche Erlebnisse, die uns die Seele einer Landschaft
nahe bringen.
Dann ist man gezwungen stehen zu bleiben, seinen Sinnen
freien Lauf zu lassen, seine Gedanken zu unterbrechen und sich ganz der
Wahrnehmung dieser betörenden Waldlandschaft hinzugeben. Die Wahrnehmung von
unberührter Natur und Stille fördert natürlich die meditative Übung ganz
besonders. Solche Momente können wir nicht oft genug erleben, es sind eben
diese Momente wo Mutter Natur zur Therapeutin wird. Es sind jene Augenblicke,
in denen man sich der Präsenz der Landschaft öffnet, ihrem Genius Loci. Jeder
Naturraum besitzt seinen eigenen Zauber und die Gemeinschaften von
Wildpflanzen, Bäumen und Tieren haben ihre eigene Art der Imagination, die,
während wir sie durchwandern, in uns zu wirken beginnt. In dem die äußere Natur
auf uns einwirkt, fühlen wir mit einem Mal, dass wir unsere eigene innere Natur
besser verstehen lernen. Wir treten in einen lebendigen Austausch mit der uns
umgebenden Waldlandschaft und jene, die sie bewusst wahrnehmen, öffnen sich der
Seele dieser Landschaft.