Wenn
wir uns in die Werke der großen Philosophen vertiefen, stoßen wir
immer wieder auf das gleiche Bild:
der
eigentliche Wert liegt nicht in den Gütern, die ja nur eine Zierde
des Vergänglichen darstellen, sondern der wirkliche Wert ist jener
den sich Seele und Geist selbst am Stoff des Daseins erkämpfen.
Philosophisches Denken ist neben der Suche nach fruchtbaren Gründen
auch immer Kampf. Goethe beschrieb in seinen Faust die Irrfahrt des
ewig nach den Genüsslichkeiten des Lebens Strebenden, der aber
zuletzt nichts anderes nach Hause bringt, außer seiner geläuterten
Seele. Kant ging schon sehr viel weiter, wenn auch trockener als
Goethe, er suchte den Sinn der Sittlichkeit und Moral in keinem
weltlichen Tun, sondern in der Reinheit des Willens, der das Gute um
des guten willen sucht.
Was
für den Philosophen als Suche nach den Urgründen des menschlichen
Geistes beginnt, wird in der praktischen Philosophie zur
Daseinsgestaltung. Aus den Geistesfrüchten die er findet gestaltet
er sein Leben. Eine solche Lebensgestaltung ist keineswegs leicht,
denn eine Horde von dümmlichen Geistern, von Robotern und
eindimensionalen Menschen, werden sich ihm immer wieder in den Weg
stellen. Diese Menschen bilden nun einmal die Mehrheit unserer
Gesellschaft und ihre Abwässer beschmutzen auch die Sinne, des nach
philosophischer Wahrheit strebenden. Diesen Schmutzwässern, begegnet
der praktische Philosoph, in dem er diesen einen Damm entgegensetzt:
er benutzt seine Philosophie als Heilmittel gegen die Infamitäten
des Lebens.
Die
Abwässer schlagen zwar wuchtig an die Mauern, aber sie finden keinen
Eingang in das Innerste, das Oratorium bleibt rein. Dieses "Innerste"
ist des Philosophen wahre Heimat. Und in diesem Innern bewahrt er
seine gesammelten Weisheiten des Lebens auf. Man kann sich Weisheiten
anlesen, doch erst wenn wir diese in unserem täglichen Leben
praktisch umsetzen können, werden sie uns zur weiterführenden
Erfahrung.
Nun
wenn der Mensch viele Weisheiten angesammelt hat, müsste er ja ein
"Weiser" sein? Ob dem so sei dies sei dahingestellt.
Weisheit in dem Sinne wie ich sie meine ist eigentlich nichts anderes
als Existenzerhellung. Ein Weg zur Existenzerhellung ist das Leben
der praktischen Philosophie, wenn sie sich mit der metaphysischen
Wesensart des Menschen beschäftigt. Dies findet seinen Ausdruck am
ersten in der Selbstbefragung, die sich in der Gewissensentscheidung
vollziehen wird und sich sowohl auf die Verantwortung für die
persönliche Welt, als auch auf die Gestaltungen der größeren
Daseinsordnungen erstreckt. In dem ich mein tiefstes Wesen befrage,
beginne ich mit der Gestaltung meines Daseins. Mit dieser
Selbstbefragung, beginnt auch die Freundschaft mit der Philosophie.
Die Hinwendung zum philosophischen Denken, zu einem philosophischen
Lebenswandel, beginnt immer mit der Befragung des eigenen Selbst. Wir
wissen von Plato das er seine "Wächter", nach dem sie ihm
die höchsten Schauungen gezeigt hatten, wieder dazu zwang in die
"Höhle" zurückzukehren, damit er sich wieder dem Druck
der irdischen Realität stellen konnte. Das ist praktische
Philosophie, die Welt nicht vergessen und doch seine
metaphysische
Heimat zu kennen. Durch eben diese Heimat, kann der Philosoph nie
Heimatlos werden, denn über diese Heimat ist seine Seele unlöslich
mit den Großen in der Kulturgeschichte hervortretenden Gestalten
verbunden.
Man
kann soviel Lesen wie man will, es hilft uns zweifelsohne bei der
Suche nach Erkenntnis, doch nur das was wir in uns selbst finden, ist
auf dem Erkenntnisweg verwertbar. Denn die Erkenntnis, die wir in uns
selbst finden
ist
für uns etwas wie ein wirklicher Beweis, ein Beweis das der suchende
Mensch immer ein "werdender" sein wird.
Ein
"werdender" im Sinne Goethes der den Menschen und sein
Leben als Metamorphose sah – werde der du bist-
Zeitlos
– Gedanken über ein Gedicht von 1780 oder
Nun
wollen wir "weitergehen"
von Hans Wagner geschrieben im
November 1994 Trippstadt am Sängerhain
Es
war im Spätsommer des Jahres 1780. Goethe war die Last des
geräuschvollen Hoflebens in Weimar unerträglich geworden. Wohin
sollte er sich wenden? Das war ihm jetzt fast gleichgültig. Nur fort
von den Stätten, an denen er keine Ruhe und Frieden finden konnte!
Fort von den Menschen die ihn nicht verstanden!
Mit
zerrissener Seele kam er nach Ilmenau im Thüringer Walde. Aber auch
hier wo er sonst so gerne weilte, sich immer wohl gefühlt hatte,
fand er die gesuchte Ruhe nicht. Unstet – friedlos irrte er durch
die Gegend von Ilmenau.
An
einem Spätnachmittag führte ihn der Weg nach einem nah gelegenen
Berge – dem Kickelhahn.
Oben
auf dem stillen, schön bewaldeten Berg hatte Herzog Karl August ein
einfaches Jagdhäuschen bauen lassen, von dessen obersten Stockwerk
aus man eine herrliche Aussicht genoss. Goethe weilte acht Tage in
diesem Waldhäuschen, das später von Rottannen überragt wurde. Es
war in diesen Tagen, an einem unvergesslich schönen Abend, als der
Dichter, wieder durch das geöffnete Fenster hinausschaute, weit über
den schweigsamen Wald hinweg blickend. Ja, hier war Ruhe und Frieden.
Wie er die Stille genoss! Lange stand er dort, das Haupt sinnend
gegen das Fensterkreuz gelehnt. Wie Goethe so sann, formte sich in
seiner Seele ein Gedicht, ruhig und doch wieder leicht bewegt wie die
Abendluft, die über dem schweigenden Wald Herbstwald wallte.
Allmählich glätteten wohl sich die finsteren Falten in seinem
Gesicht.
Dann
nahm er einen Bleistift zur Hand, und während der Dichter das Lied
leise sprach, schrieb er es an eine Stelle der Holzwand neben dem
Fenster des Jagdhäuschens. "Ein Gleiches". Hoch oben
steht der Dichter, auf ragender Bergeskuppe, ringsherum so weit das
Auge im Dämmerlichte schweifen kann, erheben sich sanft gerundete
Höhen. Sie schmiegen sich an ihre großen Brüder, als suchten sie
Schutz für die Nacht. Das Wort Zeit existiert nicht mehr, weder für
Berge, Busch noch für den Dichter. Vom Bilde des weiten Bergwaldes
gleitet der Blick auf einzelne, den Standort des Dichters umsäumende
Stämme. Sinnend haftet das Auge an Ästen und Blättern. Still,
halte den Atem an, damit du die Ruhe nicht störst! Es ist egal ob
wir das Jahr 1780, 1800, 1900 oder 2000 schreiben. Ruhe!
Goethe
verließ den Kickelhahn, vergaß das Gedicht. 51 Jahre später
besuchte der Lebensmüde Greis, einen Tag vor seinem 82. Geburtstag
mit dem Bergrat J.C.H. Mahr nochmals den Kickelhahn. Man berichtete
was Goethe unter anderem damals zu ihm sprach..." Ich habe in
früherer Zeit in dieser Stube mit meinem Bedienten im Sommer acht
Tage gewohnt und damals einen kleinen Vers hier an die Wand
geschrieben. Wohl möchte ich diesen Vers nochmals sehen, und wenn
der Tag darunter bemerkt ist, an welchem es geschehen, so haben sie
die Güte, mir solchen aufzuzeichnen." Sogleich führte ich an
das südliche Fenster der Stube, an welchem linke geschrieben steht:
Über
allen Gipfeln ist Ruh,
in
allen Wipfeln spürest du
kaum
einen Hauch;
Warte
nur balde
ruhest
du auch.
D.
7. September 1780 Goethe
Goethe
überlas diese wenigen Verse, und Tränen flossen über seine Wangen.
Ganz langsam zog er sein schneeweißes Taschentuch aus seinem
dunkelbraunen Tuchrock, trocknete sich die Tränen und sprach, in
sanften, wehmütigen Ton: "Ja warte nur balde ruhest du auch,"
schwieg eine halbe Minute, sah nochmals durch das Fenster in den
düsteren Fichtenwald und wendete sich darauf zu mir mit den Worten:
"Nun wollen wir wieder gehen!"
Dieses
nenne ich ein reales Weltgedicht und eine Metamorphose !
Abend
im Wald am Sängerhain
Hans
Wagner 1994
Ich
möchte die Tage nicht so dahin leben
ohne
ihnen ein kleines Geheimnis abzuringen
wachsam
will ich sein
wie
der Zaunkönig – dort –
auf
dem Sandstein
die
Heideröschen blühen wieder
Gott
schenkt sie uns als lebende Funken
ein
Tag im Wald
rauschende
Baumwipfel
ihr
Getöse vermengt sich mit dem Gezwitscher der Vögel
Stimmungen
zwischen den Sekunden
ich
schaue die wilde Rose an
der
ganze Busch
ein
gefallener Engel.
hukwa