Samstag, 23. Mai 2020

Vom Menschenbild eines Raben oder seltsam ist es durch den Nebel zu fliegen

Foto©UteKW


Diese schöne Geschichte von Loren Eiseley, erzählt recht realistisch vom „Menschenbild der Tiere“.

Die Begegnung mit einer anderen Welt ist nicht allein, ein Produkt der Phantasie. Sie kann einem Menschen zustoßen. Oder auch einem Tier. Zuweilen verschieben sich die Grenzen oder durchdringen einander, und es genügt, wenn man in diesem augenblick gegenwärtig ist. Ich habe gesehen, wie ein Rabe es erlebt hat. Dieser Rabe ist mein Nachbar. Ich habe ihm nie auch nur das geringste angetan, aber er legt trotzdem wert darauf, sich nur auf die obersten Zweige der Bäume zu setzen, sehr hoch zu fliegen und jeden Kontakt mit der Menschenwelt zu vermeiden. Seine Welt beginnt dort, wo für meine schwachen Augen die Grenze ist. Eines Morgens nun war unsere ganze Gegend in einen außergewöhnlich dichten Nebel gehüllt, und ich tastete mich in Richtung auf den Bahnhof durch die Straßen. Plötzlich tauchten in Höhe meiner Augen zwei riesige schwarze Flügel auf und davor ein ungeheurer Schnabel. Die erscheinung sauste wie ein Blitz vorüber und stieß dabei einen Schreckensschrei aus, der so furchtbar war, dass ich nur hoffe, nie wieder etwas Derartiges hören zu müssen. Dieser Schrei verfolgte mich den ganzen Nachmittag. Ich ertappte mich dabei, dass ich in den Spiegel sah und mich fragte, was ich den so entsetzliches an mir habe...
endlich verstand ich. Die Grenzen zwischen unseren beiden Welten hatte sich in Folge des Nebels verschoben. Dieser Rabe, der glaubte in der üblichen Höhe zu fliegen, hatte plötzlich ein erschütterndes Bild wahrgenommen, das für ihn den Grenzen der Natur zuwiderlief. Er hatte einen Menschen gesehen, der in der Luft ging,mitten in der Welt der Raben. Ihm war eine Manifestation des absoluten Widerspruchs begegnet, die für einen Raben denkbar ist: ein fliegender Mensch...“
Loren Eiseley


hukwa